„Bewegung ist bei Depression Therapie “

BRAUNAU. Frohes neues Jahr? Den Frohsinn bei Laune zu halten, ist nicht immer leicht. Manche Phasen sind geprägt von Rückschlägen und Durststrecken. Umso wichtiger ist es, regelmäßig seelisch aufzutanken. Aber wie? Der Braunauer Psychiater, Joachim Arnold, hat dazu ein Buch geschrieben. Was die Seelenpflege mit dem täglichen Zähneputzen zu tun hat, ob es depressive Narzissten gibt und wie man es schafft, in einer verrückten Welt nicht selbst verrückt zu werden, erzählt er im Interview.

Kriege, Krisen, Konflikte: Das vergangene Jahr war nicht einfach. Wie wird man in der verrückten
Welt nicht verrückt?

Verrückt ist keine medizinische Kategorie. Dass etwas aus dem Lot gerät, dass man einmal irritiert oder aufgeregt ist, ist natürlich. Um wieder zu sich zu kommen, braucht es Bedingungen. Dazu gehört auch, dass man seine Seele pflegt.

❚ Nicht nur die Welt ist im Dauerstress, sondern auch wir. Auf die Frage „Wie geht es dir?“ kommt überwiegend ein „Gut, stressig halt“ retour. Finden wir die Bremse nicht mehr?
Der Begriff Stress heißt nicht, dass etwas gut oder schlecht ist. In der Stressphysiologie spricht man von Eustress, der uns positiv herausfordert. Dem Eustress wird der Distress entgegengesetzt.

❚ Gibt es guten und schlechten Stress?
Ja genau. Es kommt auf das Maß an. Wenn wir uns einer Herausforderung stellen, kann das eine Stressreaktion im Organismus hervorrufen. Wenn wir sie positiv bewältigen, haben wir etwas gelernt oder gewonnen. Distress ist, wenn wir ständig schauen müssen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Da kann es schon sein, dass man einmal das Gleichgewicht verliert.

❚ Sie vergleichen Psychohygiene mit dem Zähneputzen. Welche Parallelen sehen Sie?
Das ist schon eine Art Redewendung geworden und ich verwende sie gerne, weil sie die Bedeutung zeigt. Auch für die Gesundheit der Zähne ist es nicht hauptsächlich wichtig, was der Zahnarzt macht, den es zum Glück gibt und den man auch braucht. Aber das Entscheidende für die Zähne ist das, was wir selber machen. Und zwar regelmäßig. Außerdem: Wir putzen uns ja nicht nur die Zähne, weil wir sollen, sondern weil wir uns danach gut und frisch fühlen. Genauso ist es mit der Pflege der Seele. Und hierbei ist etwa die Natur ein Joker. Das ist nicht nur bei mir so, sondern das bekomme ich auch rückgemeldet: Wenn wir in die Natur eintauchen, fühlen wir uns besser.

❚ Reinhard Haller sagte, wäre das Wandern ein Medikament, wäre es der Megaseller Nummer 1. Vergessen wir manchmal auf die einfachen Dinge des Lebens, weil es einfacher ist, ein Medikament zu nehmen?
Es ist wichtig, genau abzuwägen. Manchmal braucht es ein Medikament. Aber ich denke, es ist gut sich bewusst zu machen, dass gerade diese einfachen Dinge einen wesentlichen Beitrag zur Gesundheit leisten. Beim Weltkongress für Psychiatrie in Wien sagte Danuta Wasserman, die Präsidentin des Weltverbands für Psychiatrie, ausdrücklich, dass Bewegung bei Depression tatsächlich eine Therapie ist. Dazu gibt es Daten.

❚ Jedes Verhalten, das von der Norm abweicht, bekommt heutzutage eine Diagnose. Quirlige Kinder haben ADHS, Trauer wird zur depressiven Verstimmung. Ist das nicht inflationär?
Das ist eine gute Frage. Ich war im November in Tarsdorf eingeladen, Thema war Winterblues – was ist die Depression und was die Verstimmung? Um medizinische Diagnosen zu stellen, muss man sauber und sorgsam vorgehen, eine Diagnose hat ja auch eine Konsequenz für eine etwaige Behandlung. Trauer oder Traurigkeit ist eine natürliche Reaktion und man soll das nicht pathologisieren, also krank reden. Es ist manchmal schwer, weil es auch sein kann, dass eine pathologische Trauer in eine Depression mündet. Es hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass aus der Medizin stammende Begriffe keine sperrigen Fremdwörter mehr sind, Depression zum Beispiel. Der Nachteil ist, dass man sie willkürlich einsetzt und außerhalb des medizinischen Kontextes versucht, Menschen mit diesen Begriffen einzuordnen oder abzustempeln.

❚ Welche Stolpersteine gibt es im Laufe eines Menschenlebens?
Es gibt sensible Phasen, eine ist die Jugendzeit mit 13, 14 Jahren. Auch Süchte haben das Potenzial zu einem Stolperstein. Dass es Stolpersteine gibt, ist halt so. Stolpern ist nicht das größte Problem. Wichtig ist, dass man trotzdem wieder in die Spur kommt.

❚ Ist der Mann anders depressiv als die Frau?
Bei depressiven Männern ist die Gereiztheit eher ausgeprägt. Ohne es zu wollen, sind sie gleich einmal genervt. Auch ist das Risiko eines Suchtverhaltens bei Männern eher zu sehen. Es kann sein, dass hinter der Alkoholabhängigkeit eine Depression steckt.

Gibt es eigentlich depressive Narzissten?
Ja, sicher.

❚ Ist bei denen nicht alles toll?
Das ist ja oft das Problem. Es kann schon sein, dass der Narzisst eine Depression durchmacht, weil er verlassen wurde, was für ihn kaum verstellbar war, weil er sich ja so großartig wähnt. Viele Personen mit narzisstischen Zügen sind sensibel oder kränkbar. Aber gerade im Scheitern kann auch das Potential für eine persönliche Entwicklung liegen. Hier fällt mir ein Zitat von Viktor Frankl ein: „Oft sind es die Ruinen, die erst den Blick zum Himmel freimachen.“

❚ In Österreich wurde 2023 durchschnittlich alle zwei Wochen eine Frau ermordet. Wer sind die Männer, die Frauen töten? Narzissten?
Hier kann ich nicht aus meiner Praxis sprechen, aber das Muster der Frauenmorde ist bekannt: Eine Frau entspricht nicht den Erwartungen von jemandem. Die Frau wird als Objekt gesehen, das nicht frei entscheiden kann. Zu glauben, jemanden zu besitzen, ist schon sehr narzisstisch.

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